Die Zeit des Nationalsozialismus 1939 – 1945

Luftaufnahme vom Ort Schönbrunn ca. 1998

Schönbrunn durchlebte ein dunkles Kapitel während der Zeit des Nationalsozialismus, als in den Jahren 1940 bis 1945 zahlreiche Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche im Rahmen des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten als „lebensunwert“ eingestuft wurden. Ab 1940 wurden insgesamt 905 Bewohner in andere Anstalten verlegt, größtenteils in das Bezirkskrankenhaus Haar. Von ihnen wurden 546 Menschen im Rahmen der NS-Krankenmorde ermordet, davon 196 in der NS-Tötungsanstalt Hartheim bei Linz.

Inwieweit der Direktor der Anstalt, der Geistliche Joseph Steininger, den Abtransport und in der Konsequenz auch die Ermordung billigend in Kauf nahm, war von 2007 bis 2017 Gegenstand historischer Forschung. Möglicherweise sah er dies als das kleinere Übel an, um die Anstalt zu erhalten. Jedenfalls erfolgte aufgrund dieser Kooperation keine Beschlagnahmung und Enteignung der Anstalt, sondern sie wurde zur Unterbringung von aus München evakuierter Krankenhäuser und Altenheime zur Verfügung gestellt.

Nach 1945 wurde dieses Paktieren mit dem Nationalsozialismus von Steininger systematisch verschleiert. Erst infolge der intensiveren Beschäftigung mit den Euthanasiemorden ab den 1990er Jahren wurden langsam das Ausmaß dieser Kooperation und die tatsächlichen Opferzahlen bekannt.

Die Schwestern wussten von der 1940 begonnenen „Aktion T4“ und um die Bedeutung der Verlegungen, konnten aber aufgrund ihrer Position innerhalb Schönbrunns dem nicht entgegen wirken. Zeitzeuginnen berichteten davon, dass sie Patientenakten geschönt hatten oder Bewohnerinnen und Bewohner versteckt wurden. Sie berichteten auch davon, dass eine ihnen im Vorfeld nicht bekannte Deportation stattgefunden hatte, während sie in der Kirche beteten.

Aufarbeitung

2011 konnten das Franziskuswerk und die Franziskanerinnen von Schönbrunn ein Doppeljubiläum feiern: Vor 150 Jahren – 1861 – gründete Gräfin Viktoria von Butler-Haimhausen die Assoziationsanstalt der Diener und Dienerinnen der göttlichen Vorsehung, vor 100 Jahren – 1911 – erhielt die Kongregation der Dienerinnen der göttlichen Vorsehung die erzbischöfliche Approbation. Die Feierlichkeiten sollten gleichermaßen die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft in den Blick nehmen. Dabei kam den Jahren von 1933 bis 1945 naturgemäß besondere Bedeutung zu.

Ab 1. März 2006 stand das Archiv der Franziskanerinnen von Schönbrunn zur Forschung der Geschichte Schönbrunns in der NS-Zeit zur Verfügung. Bald nach der Öffnung des Archivs begannen eine Doktorandin vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Technischen Universität München und eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungsprojektes „Die Münchener Stadtverwaltung im Nationalsozialismus“ am Historicum der Ludwig-Maximilians-Universität München mit Recherchen in den Schönbrunner Archivalien.

Im Spätherbst 2010 fand in Schönbrunn ein wissenschaftliches Kolloquium „Schönbrunn und das nationalsozialistische Euthanasie-Programm“ statt. Neben Vorträgen, die den historischen Rahmen absteckten, wurden auch die bislang unter Nutzung des Schönbrunner Archivs gewonnenen neuen Forschungsergebnisse präsentiert.

Noch während des Festjahres 2011 erschien in der Reihe „Schriften des Archivs des Erzbistums München und Freising“ der Dokumentationsband mit den Referaten des wissenschaftlichen Kolloquiums und weiteren Gedenkveranstaltungen.

Tanja Kipfelsperger hat im Rahmen ihrer Promotion am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Technischen Universität München 900 Akten von ehemaligen Schönbrunner Bewohnerinnen und Bewohner gesichtet und belegt, dass davon nachweislich 546 Personen dem NS-Regime zum Opfer fielen.

Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten haben mehrere Schritte der Aufarbeitung und Versöhnung mit der Vergangenheit angestoßen:

Mahnmal und jährliches Gedenken

An der Südseite der Schönbrunner Kirche St. Josef erinnert seit Januar 2012 ein Mahnmal an die Opfer der Gewaltherrschaft. Jedes Jahr am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, wird an diese Männer und Frauen dort erinnert.  

Das Mahnmal

Das von dem Benediktiner Thomas Hessler entworfene Mahnmal besitzt die Grundform eines Kreuzes; seine Umrisse sind als Baum mit Ästen, Dornen und drei Händen gestaltet. Das Kreuz ist mit buntem Glas hinterlegt. Die farbig gestaltete Fläche leuchtet im Licht der Sonne – die dritte Hand ist ein Zeichen der Auferstehung, der Erlösung und des Friedens.

Unter dem Kreuz steht ein Tisch mit Kelch und Schale. Nach Aussage des Künstlers soll dieses Arrangement an das Letzte Abendmahl erinnern, das Mahl des Verrats von Judas und an Jesu Mahl der Versöhnung.  

Dort wo Verrat geschieht, wird dem Leben jede Grundlage entzogen. Das Vertrauen wird zutiefst erschüttert. Das Leben wir schwer verletzt. Verrat geschieht meist dort, wo Menschen Vertrauen schenken und sich auf andere verlassen.

Bruder Thomas hat das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus benannt „Das Licht leuchtet in der Finsternis“ (Joh 1,5) Er interpretiert das furchtbare Geschehen von 546 ermordeten Heimbewohnern so, dass er sagt, über den Tod hinaus, über jede Auslieferung hinaus, steht die Botschaft der Versöhnung, wie ein Licht, das in der Dunkelheit leuchtet. Und nur vom Mahl der Versöhnung, wie beim letzten Abendmahl geschehen, das wir in jeder Eucharistie feiern, kann für ein solches furchtbares Geschehen Versöhnung zuteilwerden. Und das ist wie ein Licht, das in der Dunkelheit leuchtet.

Auf der Glaswand hinter dem Kreuz sind die Vornamen der 546 Kinder, Jugendlichen, Frauen und Männer eingebrannt. Die Namen haben unterschiedliche Größen und Schrifttypen, um die Einzigartigkeit jeder Person sichtbar zu machen.

In seiner Ansprache anlässlich der Einweihung im Januar 2012 leitete Bruder Thomas Hessler die Idee theologisch her und erläuterte die Umsetzung: „Jesus wurde beim letzten Abendmahl von Judas verraten. So wirkt das Zeichen des Mahles in die Gegenwart hinein, damit wir erinnert werden und nicht vergessen und ist somit ein MAHN-MAHL.“ „Die Namen, die auf der Glasplatte eingebrannt sind, sind wie Sterne: Sie leuchten in der Finsternis und weisen uns den Weg. Sie rufen uns auf, uns für die Freiheit einzusetzen mit unseren Handlungen und unseren Gebeten.“

Gedenktafel am Schloss Hartheim bei Linz

75 Jahre nach dem ersten Transport von Schönbrunner Bewohnerinnen und Bewohnern nach Hartheim enthüllten die Franziskanerinnen von Schönbrunn im November 2015 dort eine Gedenktafel für die dort getöteten 196 Bewohnerinnen und Bewohner der Anstalt Schönbrunn.

Die Glastafel trägt als zentrales gestalterisches Element die Aufschrift ‚Unwert‘. Der Schriftzug ist unterbrochen durch einen Spalt im Glas, der das Wort in die Silben ‚Un‘ und ‚Wert‘ trennt. „Das Glas versinnbildlicht die Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens und schließt damit an die künstlerische Gestaltung des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim mit an“, sagte Bruder Thomas Hessler, Benediktiner vom Europakloster Gut Aich, der die Tafel gestaltet hat.

Straßenumbenennung

Ein weiterer Schritt der Aufarbeitung war die Umwidmung der Schönbrunner Hauptzufahrtsstraße am 200. Geburtstag von Viktoria von Butler, der Gründerin der Anstalt bzw. des Franziskuswerkes und der Franziskanerinnen von Schönbrunn. Die ehemalige Prälat-Steininger-Straße heißt seit dem 8. Dezember 2011 Viktoria-von-Butler-Straße.

Lesung “Die nationalsozialistischen Krankenmorde und die Associationsanstalt Schönbrunn”

Gemeinsam mit dem künstlerischen Forschungsfeld „Erinnerung als Arbeit an der Gegenwart“ der Münchner Kammerspiele (MK) hat das Franziskuswerk Schönbrunn im Jahr 2022 auf die gewaltvolle Vergangenheit der nationalsozialistischen Krankenmorde zurückgeblickt. Aus historischen Akten und Täterdokumenten, aber vor allem aus Briefen und Zeugnissen von Angehörigen und Opfern – auch aus Schönbrunn – hat der Dramaturg der MK, Martín Valdés-Stauber, eine szenische Lesung entwickelt, in der ein umfängliches Bild der systematischen, staatlichen Gewalt, der menschenverachtenden Grundannahmen und individueller Schicksale rekonstruiert wurde.

Sehen Sie hier die vollständige Aufzeichnung:

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Die drei Schauspieler der Münchner Kammerspiele, v.l.n.r. Stefan Merki, Frangiskos Kakoulakis und Anna Gesa-Raija Lappe haben mit ihren ausdrucksstarken Stimmen den von Martín Valdés-Stauber zusammengestellten Text einem hochkonzentrierten Publikum vorgelesen.